Moin allerseits!
Heute geht’s los mit dem Schnitt-Fest!
Was soll das sein?
Eine monatliches Treffen für alle Schnitt-Liebhaberinnen, die es vorziehen, Schnitte selbst zu basteln und sich dabei endlos in kniffeligen Konstruktionsfragen verbeißen können. Das Schnitt-Fest soll ein Forum werden, um diese Schnittforschungen und ihre Endprodukte zu würdigen. Es soll ein Ort sein, in dem wir neuerworbenes Wissen teilen können. Und natürlich soll es alle, die sich noch nicht so rantrauen an das Herstellen eigener Schnitte, inspirieren es doch zu versuchen.
Das Link-Tool lasse ich immer eine Woche lang offen, so dass Ihr nicht immer Schlag Mitternacht da sein müsst. (Ich bin ja selbst gerne mal ein last-minute-Kandidat). Also kommt im Laufe der Tage noch mal zum Schmökern vorbei. Wer ihre Werke nicht nur hier, sondern auch auf Instagram teilen will, die mag gerne #schnittfest nutzen, auf das wir uns auch dort finden.
Ich stelle Euch heute ein Projekt vor, das Ihr hier und da auf dem blog schon gesehen habt, weil ich es schon seit Oktober in der Mache hatte. Es ist mein Nix Für Lemminge Wams / aka Trachtenjacke. Rausgekommen ist dabei eine dunkelgraue Jacke, in der ich mich eher wie ein pakistanischer Warlord fühle, als wie eine waldfeste Landpomeranze, aber das hängt wohl vor allem an den beiden Stoffen.
Auftrag:
Einen Schnitt drapieren, der an norddeutsche Trachtenjacken erinnert und die Jacke einer vierteiligen Kombination werden soll.
Arbeitsweise:
Ich drapiere meine Schnitte an meiner Puppe. Auf dem Papier ändere ich höchstens mal eine Ärmellänge oder so. Generell muss ich einen Schnitt räumlich vor mir sehen, um zu verstehen, ob er funktioniert oder nicht.
Meistens beginne ich mit Skizzen im Notizbuch, bis ich mir ungefähr klar bin, wo und wie die entscheidenden Nähte verlaufen sollen. Bin ich mir darüber klar, stecke ich diese Nähte als Orientierungslinien mit dünnem Schleifenband auf meiner Puppe fest.
Dabei treten meist schon die ersten Änderungen auf, weil der Verlauf an meinem alter ego manchmal gar nicht so schön aussieht wie auf der Skizze. Meine Puppe ist eine verstellbare Puppe von Prym, die ich am Busen erheblich aufgepolstert habe. Rundherum hat sie grob meine Maße, allerdings liegt mein Brustpunkt etwas tiefer und meine Taille dafür höher. Weshalb ich bei jedem ersten Probeteil immer noch mal nachbessern muss.
Habe ich die entscheidenden Nähte auf die Puppe übertragen, bereite ich Nesselstücke vor: der Nessel wird kräftig gebügelt, dann markiere ich den Fadenlauf und bei einem Oberteil die Brustlinie mit schwarzem Edding.
Für das Vorderteil der Jacke habe ich also zwei etwas unterschiedlich große Rechtecke vorbereitet. Die Nesselstücke sind immer deutlich größer als das Schnittteil, das aus ihnen werden soll. Das hat den Vorteil, dass ich die Nesselteile im Anschluss für das erste Probemodell verwenden kann, weil genug Raum für die Nahtzugabe vorhanden ist. Und ich habe Spielraum, falls mir an der Puppe noch eine Idee kommt bzw. ich etwas ändern muss.
Ich lege die Brustlinie des ersten Stoffstücks knapp unter die Brustlinie meiner Puppe (wegen der oben beschriebenen Abweichung) und stecke das Teil entlang des Schleifenbands fest. Mit dem nächsten Teil verfahre ich genauso. Bin ich mit dem Gesamtbild zufrieden, markiere ich mit Edding den Verlauf der Nahtlinien (Schleifenband in kräftigen Farben scheint besser durch), Abnäher, die ich gesteckt habe, die Hals- und Armausschnitte und setze Passzeichen, damit die Teile, nachdem ich sie abgenommen habe, auch wieder zusammenkommen, wie ich das gesteckt habe.
Ich drapiere meistens nur eine Hälfte des Vorder- und des Rückenteils. So auch hier bei der Jacke.
Wenn ich mit dem, was an der Puppe zu sehen ist, zufrieden bin, nehme ich die Teile nach dem markieren ab, reduziere u.U. die Nahtzugabe auf eine sinnvollere Größe, kopiere Vorder- und Rückenteile und nähe dann quick and dirty mit großem Stich ein erstes Probeteil, um zu sehen, ob die Grundidee an mir funktioniert.
Meistens offenbaren sich vorm Spiegel Anpassungsnotwendigkeiten. Die werden gesteckt, genäht und noch mal anprobiert. Stimmt das Ergebnis, wie bei dieser Jacke, schneide ich das Probeteil entlang der Nähte auseinander. Diese Teile verwende ich dann als Schnittmuster für entweder ein weiteres Probeteil (bei Stücken, bei denen mir die Verarbeitung noch überhaupt nicht klar ist) oder das Original.
Natürlich ist es an dieser Stelle sinnvoll, das Stoffschnittmuster ordentlich auf festes Papier zu übertragen, Nahtlängen noch mal abzugleichen, etc. Manchmal bin ich schlampig und dann geht es über das Stoffschnittmuster lange nicht hinaus.
Bei der Jacke habe ich erstmal den „Korpus“ aus dem „Probestoff“, der sich mir auf dem Tauschtisch bei der anNÄHerung_süd bot, zugeschnitten und genäht. Und siehe da: Anderer Stoff offenbarte noch mal leichte Änderungsnorwendigkeiten entlang der vorderen Prinzessnaht.
Kragen und Belege sind dran, Ärmel probehalber gesteckt.
Kniffelig waren die Ärmel. Einerseits wollte ich eine starke Kräuselung und eine hohe Armkugel, andererseits wollte ich einen recht schlanken Ärmel. Um den Nessel für den Ärmel vorzubereiten, nutzte ich dieses Schema aus Draping, the complete Course.
Allerdings hatte ich meine liebe Mühe, den Ärmel an der Puppe so zu stecken, das der Fadenlauf auch wirklich senkrecht blieb. Es brauchte einige Versuche und einen weiteren Zuschnitt. Nachdem ich mit der eingenähten Nesselprobe ganz zufrieden war, kam mir die Idee, den Ärmel in zwei Teile aufzuspalten. Vorne wie hinten münden die Prinzessnähte in das Armloch und ich fand die Idee reizvoll, die seitlichen Ärmelnähte an geicher Stelle enden zu lassen.
Die Bilderfolge zeigt, wie ich beim Auseinanderscheiden und Zusammensetzen der Ärmelteile vorgegangen bin.
Entlang der roten Linien habe ich aufgeschnitten. Und diese beiden Teile dann zusammengefügt.
So sehen die Ärmel eingestezt aus.
Und hier treffen die Nähte aufeinander.
Insgesamt war die Schnitterstellung gefühlt einfacher als das Nähen an sich. Da gab es nämlich vor allem am Kragen einige kniffelige Stellen, die ich ohne Stellas Unterstützung auf der Annäherung garantiert nicht so schnell hinbekommen hätte. Außerdem habe ich es wie immer bei einem selbstgezeichneten Halsbeleg mal wieder hinbekommen, dass der Beleg am äußeren Rand mehr Stoff hat als die Jacke. ??? Von außen sieht man’s zum Glück nicht.
Ich mag meine Jacke schon sehr. Ich habe eine ganze Weile überlegt, ob ich nicht doch noch Verschlüsse anbringen sollte, habe mich aber dagegen entschieden. Sie klafft beim Tragen nicht auf, es gibt also keine Notwendigkeit.
Mit Tragefotos muss ich Euch leider noch einen Tag vertrösten. Zwar habe ich nach langem Dornröschenschlaf heute endlich das Futter eingenäht,
aber dann musste auch hier Rosenmontag „gefeiert“ werden und als die Gäste gingen, war es dunkel. Aber so habt Ihr einen schönen Grund noch mal gucken zu kommen. Hier schon mal das schöne Innenleben.
Damit genug von mir and over to you. Ich bin schon seeeeeehr gespannt auf Eure Projekte, Erläuterungen und Fotos. Her damit!
Drapieren finde ich wirklich eine Kunst für sich, du hast das wunderbar gemeistert! Vor allem,die Ärmel stelle ich mir kompliziert vor! Beim Ärmel bin ich besonders gespannt, wie er angezogen aussieht, mir gefällt die hohe Kugel auch richtig gut! Hattest du in Würzburg eigentlich keinen eigenen Stoff dabei? Ich finde es nämlich ganz toll, dass du spontan einen Tauschtisch-Stoff verarbeitet hast. Sehr schönes Innenleben! Bitte zeig uns unbedingt noch die Tragefotos 😉
Liebe Grüße,
yacurama
Ich hatte in Würzburg nur Nessel mit, weil mein Plan ja war, für drei Teile die Schnitte zu entwickeln. Die beiden tollen Stoffe vom Tauschtisch haben mich dann dazu verführt an dem einen Teil dran zu bleiben.
Toll die direkt an der Puppe drapieren Technik, bewundere ich sehr. Ich bin da eindeutig mehr der Papiertüftler. Allerdings versuche ich mich auch noch nicht sonderlich daran selber Schnitte zu konstruieren.
Und die Beschreibung wie du dich schlussendlich drinnen fühlst, statt der Original geplanten trachtigen Jacke.
Lg Sabine Michaela
Zu schnell auf senden gedrückt.
Also war sehr unterhaltsam zu lesen
Lg Sabine Michaela
Hi,
Freut mich sehr, dass du diese Linksammlung gestartet hast! Ich habe schon lange den Plan mich mehr mit der Schnittkonstruktion zu beschäftigen, mir hat aber bis jetzt immer die Zeit bzw. die Motivation gefehlt, weil die Lücken im Kleiderschrank doch zu groß waren und SCHNELL etwas her musste. Ich freue mich also sehr über den Input und hoffe, dass es mich dazu bringt bald selbst ein bisschen zu experimentieren. Ich finde den Draping-Ansatz sehr spannend. Da weiß ich bisher noch am Wenigsten drüber. Deine Jacke sieht auf jeden Fall richtig toll aus!
Liebe Grüße,
Kathrin
Danke schön!
Zum drapieren fehlt mir ja jegliche Motivation, ich bewundere sowas mit viel Respekt von dem Prozess. Deine Jacke hab ich ja schon live sehen dürfen, und mit diesem Innenleben muss ich sagen : wunderschön und perfekt!
Liebe Grüsse
Stella
Super Idee mit dem Schnittfest! Ich finde es sehr spannend über die verschiedenen Herangehensweisen zu lesen. Ans Drapieren habe ich mich ja noch gar nicht gewagt, bis jetzt sind alle Schnitte immer flach auf Papier entstanden. Sehr inspirierend auf jeden Fall, wenn dann so ein tolles Endergebnis rauskommt! Arbeite gerade noch an meinem Blogpost und sollte den rechtzeitig fertig kriegen.
Ich freue mich auch immer noch, dass mein Sari bei dir in so liebevolle Hände gewandert ist 😉
Liebe Grüße
Julia
Der Saristoff sorgt für die nötige Stabilität. Der Wollstoff weitet sich nämlich irgendwie nach Belieben. Oder auch nur, wenn eine ihn anguckt.